Goldene Äpfel verdienen wir uns hier keine, sagt sie und lächelt mich an. Aber das wollen wir auch nicht! Es klingelt, ein älterer Mann tritt ein. Schüchtern fragt er: Haben Sie was gekriegt? Ja, sie hat. Gestern sei einer abgegeben worden. Ein Rock aus gutem Haus, sauber, gepflegt. Der Mann wartet geduldig, bis sie mit dem Kleidungsstück kommt und ihm zum Anprobieren überreicht. Es ist ein einfach möblierter Raum mit einem großen Verkaufstisch, eine Tür führt nach hinten. Fein säuberlich beschriftete Schachteln auf Regalen sind durch die geöffnete Tür zu sehen.
Anlaufstelle für Menschen in Not. Die Zeiten, in der großzügig Pakete mit Kleidung, Handtüchern oder anderem Brauchbaren abgegeben wurden, sind Vergangenheit. Macht nichts, sagen die Damen und Herren im Kleiderladen. Es wird schon wieder werden. Sie verstehen sich als bescheidene Anlaufstelle für alle in Not geratenen Mitmenschen. Ohne Unterschied der Person. Goldene Äpfel verdienen sie mit ihrem Dienst nicht.
Außenstelle Nikolaus, 6. Dezember. Der legendäre Bischof, der kinderfreundliche Gabenverteiler, dessen Gedenktag wir heute feiern, scheint der Schirmherr des Ladens zu sein. Wenn wir uns seine Abbildungen in Erinnerung rufen, wird dieser sympathische Jesusfreund fast immer mit 3 goldenen Äpfeln dargestellt. Dass es sich dabei um 3 Goldbatzen handelt, die im Laufe der Zeit in Äpfel verwandelt worden sind, sei kritisch vermerkt.
Vom Heiligen Nikolaus sieht und hört man in diesen Wochen eher in der verkitschten Billigschokoladenausgabe mehr als genug. Nur leider meistens das Falsche. Denn aus dem charismatischen Arme-Leute-Bischof Nikolaos aus der Hafenstadt Myra, dem angesehensten Vertreter der weltweit handelnden christlichen Caritasgesinnung, wurde eine Mischung aus lächerlichem Kinderopa und amerikanischem Weihnachtsmann. Die von ihm gelebte Nächstenliebe als deutliches Kennzeichen in der Nachfolge des Krippenkindes aus Betlehem ist in den letzten Jahren immer stärker verblasst.
Abgeschoben in das Reich der Kindergeschichten. Leider ist es auch uns Christen nicht immer gelungen, diesen Heiligen ernst zu nehmen, seine Ideale und Anregungen hochzuhalten und die Caritas in aller Klarheit zu leben, dafür einzustehen. Aber der Bischof aus Myra gehört trotz allem zum Urgestein christlicher Nächstenliebe. Wenige Heilige verkörpern diesen Wesenszug der Liebe so deutlich wie er.
Außenstelle Nikolaus: Kleiderladen Caritas. Sozialhilfestelle, Beratungsstelle. Die Namen verändern sich. Die Hilfe bleibt gleich. Keine goldenen Äpfel, aber ein großes Herz für Menschen in Not. Ein grauer Rock, ein paar Decken, ein heißer Tee, ein kurzes Gespräch zwischendurch. Und die Gewissheit, da hört mir jemand zu. Manchmal ist der Caritasladen menschenleer, manchmal überfüllt. Immer jedoch ist er wichtiger Treffpunkt und Sammelstelle für jene, die etwas für Leib und Seele brauchen. Für die mit den goldenen Herzen aber gibt es noch immer genug Platz und Arbeit. Jetzt im Advent.
Zwei Minuten – Einfach zum Nachdenken:
Wie denkst du über den Missbrauch des heiligen Nikolaus?
Welche Hoffnungen verbindest du mit der Caritas?
Helmut Loder
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