HELMUT LODER'S Adventkalender
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2 Aussicht auf Erlösung
Im Warteraum beim Arzt

Über Nacht hat es wieder angefangen zu schneien. Die Äste der Bäume tragen weiße Schneeschlangen, die Felder wirken wie angezuckert. Postkartenidylle. Auf den Straßen und im Stadtgebiet verwandeln sich die reinweißen Kristalle alsbald in ein schmutziges Grau. Die Autos fahren etwas vorsichtiger. An einem Haus, mitten im Zentrum, hängt eine glänzend polierte Tafel: Praktischer Arzt. Eine Sprechanlage mit allen Raffinessen und den wichtigen Ordinationszeiten.

Das Haus sticht hervor. Architektonisch und durch die Größe. Mehrere Autos parken davor. Und wer eintritt, findet ein volles Wartezimmer vor. Hustenanfälle plagen die anwesenden kleinen und größeren Kinder. Selbst Erwachsene sehen mit Ungeduld und Unruhe nach der Tür, aus der die Ärztin kommt. Oder hoffentlich bald wieder kommen wird. Ein normaler Wochentag, ein Krankheitstag, ein Arzttag. Das Wetter macht Probleme, macht krank. Der Blutdruck steigt, der Kreislauf spielt verrückt, sagt die ältere Frau mit der leisen Stimme in der Ecke. Die Sprechstundenhilfe teilt Rezepte aus, sammelt Krankenscheine ein. Da und dort eine zögernde Frage, ein ermunternder Blick. Für den Menschen da sein. Arzt oder Ärztin geworden aus Berufung. Ein Dauerauftrag mit Konsequenzen.

Das Wartezimmer – ein Mikrokosmos des gebrechlichen Menschseins. Warten auf Heilung und Erlösung vom Leiden, vom Schmerz. Hat viel mit Advent zu tun. Mit Hoffnung und Geduld, mit Sich-öffnen und Anders-Werden. Wissen, dass man sich nicht alles erkaufen kann. Hier heißt es warten. Manchmal herrscht gespannte Stille, die Menschen blicken zu Boden, und wenn ein Kind laut spricht, wird es meist sofort ermahnt.

Advent ist nicht allein Warten. Soviel steht längst fest. Aber irgendwo im Hinterkopf und in der dunkelsten Ecke unserer Seele spüren wir unsere Ohnmacht, unsere Geschöpflichkeit, unsere natürlichen Grenzen. Besonders im Leid. In den Warteräumen der Ärzte, der Behörden werden wir daran erinnert.
Vielleicht ist Advent einfach eine große Erinnerung. An den Ursprung, an die Gnade und das Abenteuer, das Leben heißt. Verbunden mit der Aussicht auf Erlösung.

Ein Nachsatz: Vor einigen Jahren spielte in Graz die „theatergruppe mimikry“ das Stück „der warteraum” von Gerald Köberl. Es ist dies der erste Teil einer Trilogie über Himmel und Hölle: Drei Lebensverweigerer legen Rechenschaft ab über ihre Existenz, „die sie mutwillig außer Kraft gesetzt haben”. Sie warten – nach ihrem Selbstmord – in einem riesigen Metallkäfig auf ein Zeichen Gottes. Sind sie im Himmel oder sind sie selbst die Hölle für die anderen? Sie wollen nicht mehr warten wie der legendäre Godot, und so philosophieren sie verzweifelt vor sich hin.
Es war ein interessantes, sehenswertes Stück und ein guter Ausgangspunkt für viele Gespräche übers Warten, auch und gerade oder besonders im Advent.

Drei Minuten zum Nachdenken:
Wovon möchte ich erlöst werden?
Wie geht es mir im Wartezimmer beim Arzt?