Bethlehem ist einer der bekanntesten Orte der Welt. Schauplatz
kriegerischer Auseinandersetzungen ebenso wie Brennpunkt weihnachtlicher
Klischeevorstellungen von der Geburt unseres Erlösers. Wie aber sieht
die Wirklichkeit in Bethlehem aus? Der Alltag?
Die österreichische Kinderkrankenschwester Ulrike Prenninger beschreibt
die Nächte in Bethlehem: Draußen fliegen Helikopter. Dumpfe
Einschüsse sind immer wieder zu hören. Ambulanzsirenen heulen
durch die Nacht. Draußen sorgt nur der Mond für ein wenig Licht
in der dunklen Nacht, als ich zum Krankenhaus hinüber laufe. Gleich
beginnt mein Nachtdienst im Caritas-Baby-Hospital. Dieses ist das einzige
auf Kleinkinder spezialisierte Krankenhaus in den palästinensischen
Gebieten.
Zurzeit sind nur wenige Kinder auf meiner Neugeborenenstation.
Die Gewalt auf den Straßen lässt viele Mütter zögern,
ihr krankes Kind ins Hospital zu bringen. Sie haben Angst, ihre Häuser
zu verlassen. Seit Wochen ist lediglich die Hälfte der Betten belegt.
Wie viele Kinder in diesen Tagen wohl krank zu Hause sein werden? Ich
weiß es nicht. Ich weiß nur, dass die Kinder, die hier sind,
unsere Pflege und Zuwendung brauchen.
Als alle Neugeborenen versorgt sind und schlafen, unterhalte ich mich
noch mit meinen Kolleginnen. Sie sind Palästinenserinnen –
Christen und Moslems. Sie leben in Bethlehem und in den Dörfern der
Umgebung. Amal erzählt von der Olivenernte. Ihre Familie hat ein
kleines Stück Land, auf dem seit Generationen Olivenbäume wachsen.
Dieser Baum ist hier ein Symbol für Leben. Aus Oliven wird Öl gepresst und aus dem Holz zaubern Schnitzer wunderschöne Skulpturen. Heuer sind frische Oliven selten. Israelische Siedler und Soldaten haben viele Hektar Olivenhaine zerstört. Was ist schon ein Olivenbaum? Jeder entwurzelte Baum nimmt den Palästinensern etwas von ihren eigenen Wurzeln.
Ahmed ist aufgewacht und schreit. Ich schaue nach ihm. Zum Glück kann ich ihn schnell beruhigen. Als er einschläft, denke ich an seine Familie. Wie wird es sein, wenn er wieder gesund das Spital verlässt? Wir entlassen ihn in eine unsichere Zukunft. Seine Eltern lieben ihn – aber sie können oft nicht einmal ihr eigenes Überleben sichern. Trostlose Gedanken zu Weihnachten in Bethlehem. Weihnachtsstimmung aber mag sich in den Straßen von Bethlehem derzeit wirklich nicht einstellen. Auf den Hirtenfeldern gibt es immer wieder Schießereien zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten. Und wenn Raketen und Panzergranaten einschlagen, hat es die Frohe Botschaft schwer, gehört zu werden.
Wenn ich den Sinn meiner Arbeit in Frage stelle, geben mir die Menschen den Mut weiterzumachen. Ein herzliches Lachen, ein stummes Kopfnicken oder ein fester Händedruck machen mir klar: wir sind Freunde. Wir leben zusammen in Bethlehem, wo vor 2000 Jahren Jesus geboren wurde. Auch heute Nacht werden in Bethlehem wieder Kinder geboren. Ich wünsche mir, dass sie gesund aufwachsen können, dass sie die selben Chancen haben, sich zu entfalten und eine Persönlichkeit zu werden, wie andere Kinder auch. Vielleicht klingt dieser Wunsch naiv. Aber wenn ich ein Neugeborenes im Arm halte und sich seine sanfte Faust über meinen Finger schließt und ich nicht weiß, wer hält jetzt wen; wenn dieser kleine Mensch ruhig atmet, wenn ich spüre, wie er lebt, dann wird mir wieder klar, dass es eine Zukunft gibt. Damals lag sie in der Krippe, heute liegt sie in meinem Arm.“
Wenn es Nacht wird in Bethlehem.
Eine Erinnerung an die zerbrechliche Hoffnung der Kraft der Liebe.
Helmut Loder
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