HELMUT LODER'S Adventkalender
Die Nacht des Heils |
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14. Dezember
NiemandsNacht
Eine aufregende Erzählung.
Von Alfred Komarek

Darf ich vorstellen: „Niemandsnacht“. Mehr als eine Sonntag-Nachmittagsgeschichte. Hintergründig. Nachdenklich stimmend. Vor Jahren zufällig entdeckt. Von Alfred Komarek*, dem in letzter Zeit sehr populär gewordenen Autor der Krimireihe um den Kommissar Polt. 1989 ist „Niemandsnacht“ mit Bildern von Eva Kellner erschienen. Absolut lesenswert!

„Es hatte den ganzen Tag geregnet, der schmutzige Schnee war verschwunden. Am Abend wurde es ein wenig kälter, der Regen schlief ein, und wenn Wind aufkam, war es, als wische jemand verdrossen mit einem nassen und nicht sehr sauberen Fetzen über die Stadt. Er, leidlich erfolgreich und angemessen glücklich, hatte das Büro verlassen und war mit dem Taxi zum Bahnhof gefahren. Zeit dass er nach Hause kam, um den Weihnachtsabend nicht zu versäumen.
Den Advent hatte er schon versäumt, in einer Welt, in der nur Leistung wirklich galt, konnte es sich keiner leisten, ohne vernünftige Begründung inne zu halten und still auf ein bescheidenes Wunder zu warten. So hatte er die Vorbereitung auf das kommende Fest penibel in den Terminkalender eingereiht, kaufte rechtzeitig Geschenke, schrieb rechtzeitig Weihnachtskarten und hatte nun auch die Weihnachtsfeier im Büro hinter sich gebracht, eine peinliche Sache, verordnete Zuwendung, die vermutlich motivieren sollte.“

So beginnt die Erzählung. Ein Mann ist unterwegs. Nach Hause. Und er erlebt einiges. Denn diese Heimfahrt gestaltet sich alles andere als einfach. Er, ein „leidlich netter Mitmensch, als Ehemann verlässlich, kalkulierbar und durchaus mitfühlend“, aber immer auf Distanz und ohne Beziehung zu dem, was diese „Stallbesetzer“ vor 2000 Jahren in Gang gesetzt hatten, begegnet einem träumenden Schaffner, der ihn mitnimmt auf einen surrealen Umweg über Vieldorf, Mehrdorf und Leerdorf, dann über Alleinstadt, Stummstadt und Starrstadt.

„Es hat übrigens ein Unglück gegeben in Vieldorf, sagte er im Gehen: eine Geschenkslawine. Als der Zug in die Station einfuhr, waren Männer damit beschäftigt, bunte Pakete aller Art von den Geleisen fortzuschaffen, Pakete bedeckten den Bahnsteig, quollen aus allen Turen und Fenstern, verstopften die Straßen, und der Kirchturm, der in ihrem Strom zu ertrinken drohte, läutete gellend um Hilfe. Der Bürgermeister saß rittlings auf dem steinernen Löwen des Kriegerdenkmals und hielt eine Rede, die später berühmt werden sollte: Ich kann euch für Weihnachten nichts geben. Ich kann euch für den Christbaum, wenn ihr nicht ohnedies einen aus Plastik mit elektrischen Kerzen habt, keine leise flackernden Träume geben. Ich kann euch keine Gaben für Weihnachten geben. Keine Freude am Braten, kein Behagen am Herdfeuer, keine Lust, die ungestraft bliebe. Wir haben alles. Ich kann euch nur bitten: Glaubt nicht an dieses Übermaß. Dann begrub eine Batterie auffällig etikettierter Weinflaschen abscheulichsten Inhalts den wackeren Mann. Nun ergriffen die Einwohner von Vieldorf Geschenkpakete und wollten den Zug damit voll stopfen. Als Türen und Fenster hastig geschlossen wurden, gerieten die Leute in Zorn. Alle-Jahre-wieder! skandierten Sprechchöre, und Pakete wurden auf die Waggons geworfen. Eine schöne Bescherung, nicht wahr? sagte der Schaffner. Dann fuhr der Zug weiter. Ich träume vermutlich, überlegte er angestrengt.“

Die spannende Geschichte einer Verführung zum Nachdenken über das, was wir aus Advent und Weihnachten gemacht haben – und noch immer oder immer mehr tun – liest sich wie ein wunderbarer Traum von der Bekehrung eines distanziert Gleichgültigen zu einem „Menschen“: Menschwerdung passiert auf wenigen Seiten.: „Dann packten sie die Geschenke aus: sie gab ihm ihre Angst, weil er sie nie ausgelacht hatte, und er gab ihr seine Verwirrung, weil sie sich darin zurechtfand.“

(*Komarek lebt heute als freier Schriftsteller in Wien (zahlreiche Essays, Feuilletons, Erzählungen sowie Arbeiten für Hörfunk und TV; http://www.alfred-komarek.at/)