HELMUT LODER'S Adventkalender
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15. Dezember: Der verliebte Himmel

Eine Geschichte von Margareta Pschorn über einen Besuch . aus dem Himmel.

Das Mädchen sah vom Krankenbett aus den Himmel, nichts sonst. Es war sehr befreundet mit dem Himmel. Es wurde nicht müde, sich mit ihm zu beschäftigen. Setzte es sich aber in seinem Bett auf, sah es nicht weniger Schönes vor sich. Eine Wiese war da, die im Frühling Margariten trug, blaue Glocken, die leise im Winde sangen. Hell klangen die Lieder der Lerchen über die Wiese.

Eines Morgens aber wurde alles anders. Motorenlärm und Menschenstimmen zerrissen die Stille. Die Krankenschwester kam ins Zimmer: ,,Jetzt werden wir ringsum eingebaut!", sagte sie. "Das erste Haus bekommst ausgerechnet du vor dein Fenster. Wenn sie den Giebel aufrichten, werden sie dir auch das letzte Stückchen Himmel wegnehmen." Das Mädchen erschrak sehr. Es konnte gar nichts sagen. Vielleicht wäre es nicht so erschrocken, hätte es die Aussicht gehabt, bald hinauszukommen. Aber diese Aussicht hatte es noch nicht.

So wuchs eines Morgens der Kran aus der Erde und gen Himmel . Genau in die Mitte des Fensters pflanzte er sich hin. Aber der störte noch nicht einmal so, denn über ihn hin und unter ihm weg zogen noch immer die Wolken - und die Hauswand wuchs langsam. Ein junger Mann bediente den Kran. Mehrere Male am Tage kletterte er zu seinem Gehäuse hinauf und wieder zur Erde zurück. Das Mädchen konnte ihn gut beobachten und all seine Handbewegungen an den Schalthebeln.

Man muss sehr gesund sein für solche Arbeit , sehr kräftig und sehr sportlich auch, sinnierte das Mädchen - und wie hübsch er doch ist, dieser Mann in den Lüften. Er hatte das Mädchen viel später entdeckt, staunend entdeckt, um aber sogleich freundlich zu lachen; auch das sah die Kranke genau. Sooft sich nun in seinem Arbeitsgang der Kran dem Fenster zudrehte, suchten die Augen des Mannes das Mädchen, lächelten dann, nickten. Einmal hob sich auch die Hand zum Gruß, und das Mädchen grüsste zurück. So blieb es fortan, abends und morgens.

Das Feierabendsignal um fünf Uhr nachmittags war dem Mädchen plötzlich nicht mehr recht. Es hätte zu gern gewusst, wie das Leben des Fremden da draußen nun weiterging, bis es ihn morgens wieder sehen durfte. Aber dann dachte sie: Dumme Träume! Unerfüllbares Sehnen!

An den Samstagen wurde an der Baustelle nicht gearbeitet. An einem Samstag aber tat die Krankenschwester geheimnisvoll lächelnd die Tür einen Spalt auf. "Es will dich jemand besuchen, bekannt und unbekannt zugleich. Darf er?"

Dann stand er vor ihr , der Kranführer aus den hohen Lüften; saß vor ihr in seinem Sonntagsgewand. Er lächelte und erzählte: ,,lch sah immer nur die Schwester in diesem Zimmer aus- und eingehen, nie einen Besuch . . . deshalb . . ." Das Mädchen sah ihn mit glänzenden Augen freudig an. Er hätte nichts mehr sagen müssen. Aber er kam wieder ... und wieder. Nun wirst du mir aber bald den Himmel nehmen", sagte das Mädchen einmal während seines Besuches und wurde plötzlich mutlos. "Den Himmel werden sie dir nehmen? Das können sie gar nicht.

Der Himmel endet nicht vor diesem Fenster, dort beginnt er ja erst. Wir werden gemeinsam noch viele schöne Himmel sehen - endlose, weite Himmel, wenn du gesund bist!" "Jetzt wird unser Mädchen sicher bald gesund", sagte die Schwester sehr überzeugt.

Viele Menschen möchten gar zu gerne in den Himmel kommen. Aber manchmal kommt der Himmel sogar zu den Menschen!