HELMUT LODER'S Adventkalender
Gottes Fenster Tage |
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9 Aussichtswarte Fensterplatz
Von der Spannung zwischen Stillstand und Geschwindigkeit

Ein bekanntes Motiv: Ein Mann oder eine Frau sitzen am Fenster. Beobachten die Umgebung. Prüfender Blick. Wachsames Auge. Nichts entgeht ihnen. Alles wird registriert, eingeordnet. Die Nachbarn, die Fremden. Jede kleinste Veränderung. Zuschauermentalität. Aus sicherer Distanz Ausschau halten. Wonach?

Ein treffendes Sinn-Bild für das Leben so mancher Zeitgenossen. Am Fensterplatz mit weichem Polster. Notfalls kann man in den Schatten flüchten. Abstand halten, sich nichts anmerken lassen, unbewegt bleiben. Nur nicht hineinziehen lassen. Zurückhalten. Mit seinen Gefühlen. Seinen Wünschen und seinem Handeln. Nur nicht einmischen. Nicht einmal im Advent. Ist doch die Zeit der Stille, der Ruhe, nicht wahr?

Szenenwechsel: Hauptbahnhof. Der Zug steht auf Bahnsteig 2. Ein Platz am Fenster ist noch frei. Seltener Glücksfall. Alles einsteigen, die Reise beginnt! Der Zug hetzt aus dem Bahnhof. Die Geschwindigkeit steigt. Hügel huschen wie Schatten vorüber. Wartende Autos am Bahnschranken sind lediglich gelbe, rote Punkte vor dem satten Grün der Wiesen. Ein buntes Mosaik vor dem Fenster. Tempo, tempo. Der Rausch der Geschwindigkeit. Auch unser Leben hat ungeheuer beschleunigt. Fliegt dahin, flieht vor uns her. Längst unserer Kontrolle entglitten.

Advent, Fensterplatzidylle? Mitnichten. Es mag den Anschein haben, aber es ist wieder Zeit. Für einen Neubeginn, für Aufbruchstimmung. Draußen vor dem Fenster strömt das Leben vorbei. Unerbittlich. Am Fensterplatz im Schatten aber sitzen wir. Sind enttäuscht, müde und irgendwie leergehofft. Deshalb: Aufbruch ist angesagt. Notwendiger denn je! Weg vom ruhigen Platzerl am Fenster.

Sich anschreien lassen vom Engel, der vorüberfliegt. Und deutsch spricht. Nachschauen gehen wie die Hirten. Ob es stimmt, was man so hört. Oder gesehen hat. Vom Kind im Miethaus um die Ecke. Dass seine Eltern arbeitslos sind und Kinderkleidung gebraucht wird.

Fenster-Plätze sind seltsame Orte. Einerseits geprägt vom hohen Tempo, andererseits vom Stillstand bei hohem Tempo. Der Fensterplatz als Rastplatz, aber nicht als Endstation der Lebenslust. Was hat der Engel gesagt?