HELMUT LODER'S Adventkalender
Gottes Fenster Tage |
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15 Die Angst vor der Leere
... im Fenster der Einsamkeit

Sie sind ein begehrtes Fotomotiv. Nicht allein im Advent. Romantisch ausgeleuchtet, melancholisch eingefärbt: Die Häuser mit den leeren, dunklen Fensterhöhlen. Ohne Gläser, nackt und kahl, oder mit eingeschlagenen Fensterscheiben, schmutzstarrend, im verwitterten Rahmen. Zeugen menschlichen Scheiterns. Angenagt vom Zahn der Zeit. Verlassen und aufgegeben, Ruinen der Vergangenheit. Bergbauernhöfe, uralte Schlossmauern, aufgelassene Industriebauten. Fenster voller Einsamkeit.

Das Dunkel hinter dem Fensterkreuz reizt. Zu vielfachen Assoziationen. Gedankenspiele. Vermutungen, Fragen gehen mir durch den Kopf. Wer hat hier gelebt? Was hat sich dort alles abgespielt? Wie viel Freude und Leid, wie viel Glück und Enttäuschung, Einsamkeit oder ausgelassenen Festlichkeiten haben die Räume hinter den schwarzen Fensterhöhlen gesehen?

Ein Buch fällt mir dazu ein: „Leben zwischen den Seiten“. Darin entführt uns Corinna Soria in eine Wohnung mit verdunkelten Fenstern. In die kindliche Erlebniswelt von Zoe, die gelernt hat, die religiösen Wahnideen ihrer allein erziehenden Mutter auszuhalten. „Sie spricht ins Leere und spricht zu mir, sie kämpft gegen Gestalten, die, sagt sie, durch Wände ziehen und nach uns greifen. Ich sehe nichts. Sie bereitet auf dem Boden ein Lager, unter dem Fenster, dass die Strahlen nicht unsere Körper zersetzen, sie zieht mich zu sich auf den Boden, Mondstrahlen, sehe ich euch nicht mehr? Nein, Mutter, der Mond tötet uns nicht ...“

Tagelang, nächtelang verbringt das Kind unter dem Fenster. Spürt Todesangst, bekommt kaum etwas zu essen, bleibt gefangen und bedroht durch die Wahnschübe der kranken Mutter. Alleingelassen mit ihrem Entsetzen. Hineingestoßen in eine entsetzliche Einsamkeit. Isoliert. Niemand kümmert sich wirklich um sie.

Ja, es gibt sie. Die Fenster der Einsamkeit. Und dahinter sitzen oft Menschen, Kinder und Erwachsene, im Stich gelassen, verbittert, hilflos. Mit der unbegründeten Hoffnung, dass jemand vorbeikommt. Anklopft, oder wenigstens ins Fenster schaut. Nachfragt: Wie geht’s? Brauchen Sie etwas? Hilfe? Trost? Kann ich Ihnen Gesellschaft leisten? Anteil nimmt an ihrem Leben. Ihre Hilferufe hört.

Advent ist eine Zeit gegen die Einsamkeit. Für den Gott der Gemeinschaft. Der zu uns kommt. Das glauben wir. Und versuchen wir zu leben. Umzusetzen. Deshalb zünden wir Kerzen an in der Dunkelheit. Auf dem Kranz. Setzen Lichtsignale gegen die Finsternis hinterm Fensterkreuz.

Damit niemand einsam und verlassen bleibt.