Ein Fenster. Im Advent. 5.Stock. Schwindelnde Höhe. Eine zarte Gestalt auf dem Fensterbrett. Weit und breit kein Sprungtuch. Kein Ausweg. Keine Hilfe. Rein nichts. Gar nichts. Einfach nur ein Fenster. Aufmachen und hinunterspringen. Wie Bungeejumpen. Nur ohne Sicherungsseil. In den Tod springen. Aus Verzweiflung. Aus Enttäuschung. Das gibt es nämlich auch. Öfter als wir denken.
Die Selbstmordrate unter den Jugendlichen in unserem Land ist sehr hoch. Suizidversuch heißt es abstrakt. Nicht jede/r springt aus dem Fenster. Es gibt viele Wege in den Tod. Hinterher wollen es alle nicht geahnt haben. Die versteckten Zeichen sind leicht zu übersehen.
Ein Fenster. Irgendwo da draußen im Land. Im 5. oder 6. Stock. Offen. Weit offen. Für eine schnelle Verzweiflungstat. Oder gut überlegt. Genau geplant.
Aus dem Fenster springen. Weil man keine Hoffnung hat. Sich im Stich gelassen fühlt. Erschöpft ist. Verletzt. Verzweifelt. Auch wenn die Jingle Beils aus dem Radio rundum klingeln und säuseln.
Verzweiflung hat viele Gesichter. Das abgelehnte Kind unter Erfolgsdruck, der überforderte Lebenspartner, der die Nerven und das Leben wegwirft. Die Frau mit der Diagnose Krebs im letzten Stadium, das Mädchen mit der unglücklichen Liebe. Wer liebt mich? Manchmal könnte man aus dem Fenster springen ...
Demgegenüber: Advent heißt, Hoffnung ist in Sicht. In Aussicht gestellt. Man muss sie nur sehen lernen. Besser noch: Erfahren, spüren. Aufgefangen werden. Getragen werden. Durch Menschen. Vielleicht nicht nur durch den Nächsten.
Es kann auch der etwas Entferntere sein.
Ein Fenster in den vorweihnachtlichen Tagen. Verlockung. Weit offen. Scheinbar keine gute Aussicht(en). Schau: ein Licht kommt in die Dunkelheit. Ausgangspunkt für viele Lichter. Und Hände. Die dich auffangen. Abhalten. Lass dir helfen. Spring nicht. Gott meint auch dich. Er liebt dich.
Helmut Loder
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