HELMUT LODER'S Adventkalender
Türen ins Licht |
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6 „Zum kleinen Paradies – Die Tür der Nächstenliebe“
Von Not-AUSgängen und Hilfetüren

„Bitte, mochts endlich die Tür zua!“ ruft die weißhaarige ältere Frau aus der hinteren Ecke nach vorne. Es ist erdrückend warm hier. Im Marienstüberl in Graz. Die bescheiden eingerichtete Caritasstelle in der Keplerstraße ist gut besetzt. Aber immer wieder geht die Tür zum Speisesaal auf und entweder schlurft ein verschüchterter Neuzugang oder ein guter alter Bekannter in den Saal. Obdachlose, Arbeitsplatzlose, Menschen vom äußeren Rand der Gesellschaft sitzen heftig diskutierend an mehreren Tischen. Fühlen sich sichtlich wohl. Sind endlich weg vom feuchten Nebel, der über der Stadt liegt. Halten mit zittrigen Händen die einfachen Suppenteller.

Hier sind alle willkommen. Keiner muss draußen vor der Tür bleiben. Die Tür der Nächstenliebe öffnet sich für jede und jeden, ob alt oder jung, laut oder leise. Armut hat kein Mascherl. Das kleine Paradies für echte und langjährig einheimische Flüchtlinge, für Einsame und Verbitterte, ist seit 5 Jahren täglich geöffnet. Die Tür zur Anlaufstelle für eine warme Mahlzeit um einen symbolischen Schilling kennen fast alle in der „Szene“.
Franz, 44, ein gelernter Schuhmacher, seit Jahren arbeitslos und gesundheitlich „fertig gefahren“, kommt regelmäßig hierher. Er sucht den menschlichen Kontakt, das Gespräch. „Wohin soll ich sonst gehen?“ Pläne hat er schon lange keine mehr: Der geborene Verlierer. Im Advent ist es besonders schlimm für ihn. Er habe oft eine richtige Stinkwut auf die da draußen, sagt er, die sich alles leisten können, die wie die Verrückten einkaufen und hirnlos hin- und herrennen! Und wenn die Weihnachtsbeleuchtung und die Reklamelichter „voll anfahren“, dann ist er fertig, und verkriecht sich ... ins Marienstüberl.

Not-AUSgang steht auf einem alten vergilbten Schild über einer Tür. Hier geht die Not aus und ein. Hier bekommt die Not eine AUSzeit verordnet. Es ist nicht viel, aber ein gutes Gefühl für die, die es nötig haben. Nicht nur eine warme Suppe zu bekommen und einen geheizten Raum vorfinden, sondern Begegnung, Beziehung pflegen können. Kommunizieren heißt es modern ausgedrückt. Hier treffen sich Menschen, die das gleiche Problem haben. Nämlich arm zu sein, nichts mehr leisten zu können, nicht gebraucht zu werden, und keine Hoffnung zu haben. Menschlich Gescheiterte auf der Suche nach Zuwendung, Geborgenheit und Liebe, Akzeptanz und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz. Es kostet schon eine gewisse Überwindung, hierher zu kommen. „An Weihnachten darf ich gar nicht denken“, sagt die etwa 30jährige Claudia. Mit ihren 3000 Schilling Notstandshilfe kommt sie nicht weit. Jetzt ist sie „Gast“ im Marienstüberl. Arbeitslos und hoffnungslos. Aber sie ist ein lieber Mensch, bestätigt Sr. Sonja, die gute Seele des Hauses.

Wir denken heute an den Bischof Nikolaus, der weder jener verkitschte Märchenonkel noch das gutmütige „Reklamedickerl“ ist, den wir Tag für Tag medial serviert bekommen. Nikolaus war anders. Er verteilte erwiesenermaßen sein Vermögen an die Armen und litt schwer unter den Christenverfolgungen seiner Zeit. Er war beileibe keine mythologische Großvaterfigur fürs Bravsein und Geschenkeverteilen. Er war populär und beliebt wegen seiner Wohltätigkeit. Die Legenden schmücken dies deutlich aus. Der Nikolaus von heute hat die Züge von Sr. Sonja, ihren Helferinnen und den Sozialarbeitern, die sich oft recht erfolglos um die Ausgerutschten und „Gefallenen“ kümmern. Die Caritas hat einen guten Ruf. Ihre Türen stehen jederzeit offen. Dort kommt man dann ins kleine Paradies im Marienstüberl oder in die vielen Filialen in der ganzen Diözese, in unserem Land.
Was bleibt, ist aber auch die Befürchtung, dass nicht alle diese Tür(en) finden und öffnen können. Es gibt viel mehr Not und Armut als wir glauben, oft trägt sie nur eine andere Fratze und lässt sich schwer aus der Welt schaffen: Einsamkeit, Ablehnung, Verbitterung, ...

Was bleibt? Der Aufruf, als kleiner Nikolaus die Tür ins kleine Paradies zu öffnen. Tag für Tag. Nicht nur in diesen frommen Tagen.

Ein Hinweis:
Auf der hervorragenden Homepage der Abteilung Religion im ORF religion.orf.at gibt es einen provokanten Artikel über den heiligen Nikolaus. Anklicken und nachlesen: „Dirnen-Retter und Krampus-Zähmer“