HELMUT LODER'S Adventkalender
Türen ins Licht |
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20 „Die Türen nach innen“
Von der Sehnsucht nach Stille.

Endlich. Die Tür hinter sich schließen und den Lärm draußen lassen. Die Augen zumachen und nach innen sehen. Ruhig werden. Dem eigenen Atem nachspüren. Die Hast und Unruhe abschütteln. Das Nervöse und Vibrierende im Körper, im Kopf und im Herzen langsam ausklingen lassen. Jeder von uns wünscht sich solche Räume. Zeiten, in denen es möglich ist, ungestört schweigen zu können. Nichts reden zu müssen. Einfach in die Stille wortloser Entspannung zu sinken. Die Tür nach innen ist nicht versperrt. Sie ist immer weit offen. Finden kann sie nur der, der bereit ist, zu suchen.

Der Advent ist nicht von vornherein die geeignetste Zeit dafür. Sicher, überall wimmelt es von literarisch definierten „stillen Nächten“, den „Momenten der Stille“, bis sie zur alles entscheidenden „Stille(n) Nacht, heilige(n) Nacht“ hochgepriesen werden. Sehnsuchtsvoll beschwörend Ernst Wiechert in einem Weihnachtsgedicht „Komm nun wieder, du stille Zeit, ...“ Aber angesichts der hektischen komplexen Verpflichtungen, sich mit materiellen Dingen einzudecken, in ausufernd zahlreichen Begegnungen die Quantität über die Sinnhaftigkeit siegen zu lassen, wirken solche Zeilen fast wie Hohn und bitterer Spott, verstehen sie sich als ungewollt sarkastische Randnotiz in der Beobachtung einer stillstandslosen Gesellschaft.

Stille, Gelassenheit, abschalten können. Stillstand. Ein Fremdwort, verhasst den anonymen Zuhältern von Leistung und Verführung. Stille werden und Widerstand leisten. Nachdenken wollen? Be-Sinn-ung und be-Sinn-lich sein? Vieles darf in diesen Tagen sein, so laut, so grell, und manche Monstrosität von Rekorden und Geschmacklosigkeit wird zelebriert. Aber Nach-Denken, sich bewusst werden, welche erschreckende Schräglage unser Leben und Glaube bekommen hat? Stillwerden wie ein Delikt. Nicht mithüpfen wollen, am Rande kreischend, johlend in die Slogans einstimmen, sondern in aller Ruhe und Stille nachdenken wollen? Das ist nicht normal. Ein bedenkliches Zeichen. Sagen die einen und die anderen. Formulieren schnell die Parolen. Für und wider die Stille, das Hinhören und Zuhören, damit wir aufhören, wegzuhören.

Das Klischee des Advents als die „still(st)e Zeit“ ist eine schlimme Erfindung. Bewusste Irreführung gutgläubiger Sehnsuchtsmenschen. Die Abziehbilder des Weihnachtstraums sind letztlich uneinholbar. Müssen zwangsläufig unerfüllt bleiben. Frustrierend, nicht wahr? Immer bleiben wir zurück hinter den idyllischen Vorgaben. So sehr wir uns auch bemühen. Auch bei der Stille.

Die ungeschönte Wirklichkeit sieht (zumeist) fundamental anders aus. „Ich habe entdeckt, dass alles Unglück der Menschen von einem einzigen herkommt: dass sie es nämlich nicht verstehen, in Ruhe in einem Zimmer zu bleiben“ schrieb Blaise Pascal, der sensible französische Mathematiker und Gottsucher schon im 17. Jahrhundert in sein Tagebuch. Seither haben sich Stille und Konzentration tatsächlich kontinuierlich aus unserem Alltag verabschiedet. Tägliche Stillezeiten, Oasen der Ruhe und Muße, sie alle sind verschwunden, eingetauscht gegen die akustische Dauerberieselung. Die Zerstreuung ist allgegenwärtig. Wenigen Familien gelingt es wirklich, die gutgemeinten Vorgaben für eine adventliche Hausfamilienfeier rund um den Adventkranz tatsächlich einzulösen. Die auseinanderdriftenden Zeitebenen der Gemeinschaften von Schule, Haushalt, Arbeitsplatz oder Freizeit lassen es nicht mehr zu. Mühselig werden einige wenige Haltestellen im Getriebe und Gedränge fixiert. Wir müssen aber auch ehrlich bekennen:

Wir haben verlernt, die Türen zu schließen, abzudichten. Das Schild hinauszuhängen: Bitte nicht stören! Wir üben, leise zu sein. Oder wir haben verlernt, die Türen nach innen zu öffnen. Die Schlüssel sind verrostet, das Schloß wurde scheinbar verklebt, ausgetauscht. Still ist die Stille verschwunden. Früher war sie mächtig und man konnte sie finden, wenn man sie suchte. Hinterm Haus, beim Spaziergang, im Wald. Heute lässt sie sich nicht mehr blicken, ihre Tarnung ist perfekt. Sie scheut die Gemeinschaft der Menschen. Allzu oft ist sie missbraucht worden. Je scheuer sie wird, desto größer wird unsere Sehnsucht nach ihr. Und manchmal – eingespannt in die unbarmherzige Tretmühle der Ablenkungsgesellschaft – hören wir, deutlich vernehmbar, für Sekundenbruchteile vielleicht, die Frage nach dem, was uns Sinn gibt, nach dem, was zurückbleibt, wo die „Gott-Tür“ zu finden ist? Dann fällt die Stille über uns, raubt uns den Atem und wir lauschen. Bis unsere Ohren schmerzen und wehtun.

Wir nehmen zur Kenntnis: Gott spricht sehr leise zu uns in diesen Tagen. Daran ist zu erinnern. Und seine Worte fließen ein in das Ticken der Uhr, in das unermüdliche Klopfen des Herzens, ins Rauschen des Blutes, in die Erinnerung vergangenen Glücks. In die Stille gehen, heißt zu einer Entdeckungsreise aufbrechen. Mit ungewissem Ausgang. Das Ziel liegt in weiter Ferne, die Anstrengungen werden groß sein. Aber die Stille wird uns verändern, formen und uns begleiten. Der Eingang ist bereit. Manchmal ist die Tür eine Kerze, ein grüner Zweig, ein tiefer Blick in die Dunkelheit, ein scheues Lächeln über ein Wort aus der Schrift, ein wortloses Nicken. Die Türen nach innen haben viele Gesichter. Und Lust auf ein neues.

Wann willst du aufbrechen, nach innen, die „Gott-Tür“ zu suchen? Warte auf mich, ich komme gern mit.