HELMUT LODER'S Adventkalender
Türen ins Licht |
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13 „Die Pforte zum wahren Leben“
Eine adventliche Tür mitten in Wien

Mitten im Advent, mitten in Wien vor dem Stephansdom. Mit großen weitausholenden Gesten weist die Fremdenführerin soeben auf das Riesentor des Hauptportals des Wiener Wahrzeichens hin. Es ist ein prachtvolles – zutiefst adventliches - Tor, das den Zugang von Westen her öffnet. In eindrucksvoller Bildsprache erzählt die spätromanische Bilderwelt des Portals seit Jahrhunderten vom prallen Leben, den mannigfachen Gefahren und dem Ziel unserer Sehnsucht. Die Säulen und Pfosten sind nur mit Ornamenten, Band- und Blattmotiven verziert. Aber in den oberen Bereichen sprießt schon das pflanzliche Leben in den Raum und bildet Knospen, zwischen denen bereits Tier- und Menschenköpfe zu erkennen sind.

Der Übergang zur nächsthöheren Stufe des Lebens folgt, doch nicht ganz bruchlos: Durch ein horizontales Reliefband wird die aufstrebende Bewegung unterbrochen. Darin zeigt der Künstler die Bedrohung des Lebens der Menschen durch dämonische Kräfte. Ein gehörntes Tier legt einem Hanswurst eine Schlinge um den Hals, ein Löwe fällt einen Mann an. Der Mensch und das Böse. Bedroht, ausgeliefert, voller Angst und Schrecken. Wie aus einem kitschigen Horrorfilm. In Stein gehauen.

Über diesem Reliefband wird ein klarer Schlussstrich gezogen. Die Apostel und Evangelisten thronen wie Säulen des Glaubens über den Szenen der Gewalt und des Todes. Sie wenden sich der Mitte zu. Das Zentrum zeigt eine von zwei Engeln gehaltene Glorie (Mandorla), in der Christus, die Rechte segnend erhoben, in der linken Hand das Buch des Lebens, sitzt. Der Weltenrichter. So wird die darunter liegende Tür zur „Pforte zum wahren Leben“, Christus selbst ist die Tür und das Leben. Über all den Eintretenden, die sich zumeist ohne dem Bildschmuck gebührende Beachtung zu schenken in die Kirche drängeln, erscheint er in der Herrlichkeit des Himmels. Alle rundum angelegten Szenen und Bildfolgen erhalten nach ihren Beziehungen zu dieser Mitte Sinn und Bedeutung. Ein eindrucksvoller Aufruf, das Zentrum der Botschaft neu zu entdecken: Christus, der Retter und Heiland.
Die Touristen strömen wie immer durch den mächtigen Dom. Manche sind inzwischen verstummt, staunen und horchen in den Raum. Vielleicht beten sie für einen Moment lang, verlagern die drückende Last ihrer Existenz auf die ausgetretenen Steinplatten und denken an den, dessen Geburt wir in einigen Tagen festlich begehen wollen. Advent, Ankunft des Herrn. Nicht nur vor 2000 Jahren. Wir sind hier und heute aufgerufen, eingeladen, uns für das Kommen des Herrn bereitzumachen.

Aus dem Ersten (= Alten) Testament werden in den nächsten Tagen jene Stellen gelesen, die vom sehnlichen Warten auf den Messias berichten. Bereitschaft, Wachsamkeit, entschiedene Umkehr, das sind die Leitworte der Propheten für die damalige Zeit gewesen. Es hat sich nichts geändert. Wir feiern den Advent viel zu oft als Augenblicke der Einstimmung auf Weihnachten, als rührseliges Hinsteuern auf eine Lichtorgie in den dunklen Nächten am Jahresende. Von (lieblicher) Stimmung aber reden die Propheten nicht. Eher schon vom Kampf für das Gute, von Gerechtigkeit und Lebenssinn. Der letzte in der langen Reihe der Rufer und Verkünder unangenehmer Wahrheiten, Johannes vom Jordan, ist alles andere als ein kuschelweicher Untergangsprophet: Er schreit und deutet: Kehrt um! Noch sind die Türen weit offen!

Advent ist biblisch gesehen tatsächlich keine Zeit für harmoniesüchtige Strohsternidylle und Weihnachtsglanz. Advent erscheint da eher als die Zeit der Entscheidung, der Umkehr, der entschiedenen Orientierung auf die Mitte hin, auf den, der kommen wird in Herrlichkeit. Dafür machen wir die Türen und Tore hoch und breit und suchen nach dem, was unser Leben heil macht und Kraft verleiht.

Das Riesenportal verweist auf den Christus, den Retter. Eine adventliche Tür, mitten im hektischen Treiben, inmitten von Wien. Wer sich der Botschaft öffnet, wird sie ab-lesen können.