Sonntag, 02.03.2008
26 – Nacht-ZEIT
Im heutigen Sonntagsevangelium heißt es:
„Jesus spuckte auf die Erde; dann machte er mit dem Speichel einen Teig,
strich ihn dem Blinden auf die Augen und sagte zu ihm: Geh und wasch dich
im Teich Shiloach! Shiloach heißt übersetzt: Der Gesandte.
Der Mann ging fort und wusch sich. Als er zurückkam, konnte er sehen.“ (Joh 9)
Jesus öffnet einem Menschen die Augen. Einem Blinden.
Einem, der nichts sieht. Der sich kein Bild machen kann.
Blindenheilung, sagen wir verkürzend. Da steckt doch viel mehr dahinter.
Dieser Rabbi Jeschua kommt und öffnet ihm die Augen.
Aus der Nacht bringt er ihn zurück ins Licht. Zurück zur Welt.
Nicht alle Menschen sind „blind“ im Sinne, dass es dunkel um sie ist.
Dass sie Farben, Entfernungen, Umrisse, Bewegungen nicht wahrnehmen können.
Dass Raumgefühl und Orientierungssinn eingeschränkt sind.
Oft hört man: Wir leben in dunklen, finsteren Zeiten. In Nacht-ZEITen.
So beschreiben wir die Schwärze der Gewalt, des Hasses, der Aggression.
Der Blindheit für die wirklichen Werte des Lebens.
Denn irgendwie sind wir selbst (mehr oder weniger) blind.
So müssen wir uns an diesem Fastensonntag fragen:
Wer befreit denn uns vom Schatten der Selbstsucht und der Erbarmungslosigkeit im Alltag?
Ist es nicht auch „Blindheit“, wenn wir unsere Augen und Herzen
permanent mit Bildern der Sensationslust überschütten,
uns der blinden Gier nach immer extremerem Vergnügen ausliefern
und die Not und Einsamkeit, die lauten und lautlosen Schreie nach Hilfe
nicht mehr sehen und erkennen? Wir sind blind und taub und stumm geworden.
In diesen Tagen der Fastenzeit jedoch dürfen wir von neuem
auf Christus hoffen, der uns unsere Augen auswäscht,
der uns den Grauschleier unserer Schuld wegnimmt, auf dass wir wieder
mit offenen Augen auf unsere Mitmenschen zugehen können.
HEUTE empfehle ich ein tolles Buch, das in diesem Zusammenhang eine
wunderbare Ergänzung ist: Jose Saramago: Die Stadt der Blinden. Blindheit
als Allegorie der gesellschaftlichen Situation, die erbarmungslose,
harte Beschreibung des Zeitgeistes, der uns in die Nacht-ZEIT der Welt
katapultiert. Aber auch der Hoffnung, die nicht stirbt!
Montag, 03.03.2008
27 – Best-ZEIT
Manchmal bekomme ich einen heiligen Zorn. Auf all die Bücher und Zeitschriften,
die nur eines umtreibt und antreibt: Mit den Rekorden und Sensationen,
mit all den Höchstleistungen in unserer ZEIT ein Geschäft zu machen.
Das Guinness-Buch der Rekorde regt mich dabei fürchterlich auf.
Aufwändigst gestylt, glitzernd und mit 110 Millionen verkaufter Exemplare selbst ein (Welt)Rekord, ist es für mich eine erschreckende Sammlung skuriller Best-ZEITen,
Höchstwerte und sinnlosester Extremhandlungen!
Was ist das bloß für eine Welt, in dem nur die längste Wurst, der größte Hund,
der schnellste Raser zählt? Die Sucht nach immer neuen, schrilleren Rekorden ist grenzenlos.
Ansteckend und ernüchternd, deprimierend.
Was herauskommt, zeichnet das Bild einer Gesellschaft, die sich viel zu oft nur über Extreme definiert und sich dabei köstlich unterhält. Und viele machen mit! Bereitwilligst!
In den letzten Wochen waren im Schisport nur die Best-ZEITen gefragt.
Mit ungeheurem Aufwand – körperlich und technisch – zeigt sich eine kleine Gruppe
von Spitzensportlern gefangen im „Hamsterrad“ der Jagd
nach noch schnelleren ZEITen, noch besseren Best-ZEITen.
Und die Abstände zwischen den Positionen im Spitzenfeld sind oft lächerlich gering:
Hundertstel Sekunden oder weniger.
Was zählt, ist allein der Sieg. Die Best-ZEIT. Alles andere ist uninteressant.
Ein verfälschendes Bild unserer Welt. Der ZEITgeist will es aber angeblich so.
Ich bin dafür, nachzufragen: Ist die Best-ZEIT wirklich alles?
Bedeutet die Mühe, die Leistung des Zweiten und Dritten und all der anderen
eigentlich gar nichts? Gilt nur die Best-ZEIT, die Sieger-ZEIT?
Vielleicht sollten wir uns besinnen: Es geht nicht immer nur um die Sieger.
Um die Best-ZEIT. NEIN! Sich bemühen, sich einsetzen, bis ans Äußerste gehen,
das tun auch die weiter hinten Gereihten.
Fastenzeit: ZEIT, endlich auch die anderen sehen und Wert schätzen.
HEUTE empfehle ich einen kritischen Blick in den Sportteil unserer Zeitungen!
Dienstag, 04.03.2008
28 – SpruchZEIT
Vor einiger Zeit fiel mir eine besondere Grafik auf. In konzentrischen Kreisen,
nach innen gehend, kann man einen Text lesen, der sich so darstellt:
Ein Rundspruch:
Die Zeit geht wie ein Rad herum
und dreht uns alle um und um, kein Augenblick bleibt stehen;
die Stunde flieht, der Tag verweht, der Mond verbleicht,
das Jahr vergeht, wir gehen und vergehen.
Die Zeit ist flüchtig wie das Glück,
es nützt uns nur der Augenblick, den wir getreu verwalten,
ein Werk zu tun und hier und dort mit einer Hilfe,
einem Wort die Stunde zu verhalten.
Schon mancher stürmte aus dem Haus
und schaute nach dem Großen aus und ließ die Zeit vergehen;
Wer nur nach großen Dingen sieht und so das kleine Leben flieht,
bleibt töricht dabei stehen. Man muss das Kleine tapfer tun
und niemals warten, niemals ruhn in diesem Weltgetriebe,
muss schmieden seinen kurzen Tag,
solang er glüht mit festem Schlag,
was bleibt, ist nur die Liebe.
HEUTE empfehle ich, diesen Text sehr langsam und ruhig zu lesen und
das wichtigste Wort mit in den Alltag zu nehmen!
Mittwoch, 05.03.2008
29 – Fenster-ZEIT
Wenn ich mit der Tram ins Institut fahre, komme ich an einem großen Wohnblock vorbei.
Vor einigen Wochen fiel mir darin eine Frau im 3. Stock auf.
Sie sah aus dem Fenster, sehr andächtig, aufmerksam, seelenruhig.
Sie hatte augenscheinlich viel ZEIT. Fenster-ZEIT.
Ich gestehe, in letzter Zeit sehe ich nicht oft Menschen aus dem Fenster schauen.
Der Platz wird seltener eingenommen. Vorm Fernseher ist er sicher öfter besetzt.
Trotzdem: Das Interesse an der Welt, die Hoffnung auf Kontakt
und die Lust auf Begegnung mit anderen Menschen prägen solche Fensterstunden.
Im betrieblichen Zeitmanagement taucht dafür seit neuestem öfter das Wort vom ZEITfenster auf.
Zeit, die wie ein Fenster ge- oder eröffnet wird, angeblich zum Nutzen mobiler und flexibler Arbeitnehmer. Zeit, die aber keine heilsame Bewegung ins Leben ist, sondern massiv und
sehr bestimmt verplant und gemanagt wird. ZEITfenster, die auch jederzeit wieder geschlossen werden können. Oder nach Belieben der Geschäftsleitung und den Erfordernissen von Schichtzeiten hin- und hergeschoben werden.
Der Mensch mit seinen ganz persönlichen Wünschen bleibt auf der Strecke.
Ein Fenster zu öffnen, tut gut. Bedeutet Frischluft und Verbindung nach draußen.
Ein ZEITfenster kann für den Menschen etwas Gutes bedeuten.
Entscheidend jedoch ist, ob die ZEIT für den Menschen und nicht ob der Mensch ins ZEITfenster passt.
Auf die Fasten-ZEIT übertragen: Wie sieht es mit meinen ZEITFenstern für Gott und meinen Glauben aus? Sind sie geöffnet? Oder geschlossen? Verplant? Wegen Unrentabilität vernagelt?
Fastenzeit, ein ZEITfenster für meinen Glauben.
HEUTE empfehle ich einmal für längere Zeit aus dem Fenster zu sehen. Was kann ich entdecken und wahrnehmen?
Donnerstag, 06.03.2008
30 – Warte-ZEIT
Niemals zuvor konnten wir Menschen schneller von einem Ort zum anderen reisen als heute.
Noch nie sind die neuesten Nachrichten so schnell um die Welt geschickt worden
wie in unserer ZEIT. Und trotzdem haben manche keine „Begabung für Geduld“.
Warte-ZEIT scheint purer Luxus geworden zu sein. Fast weltfremd.
Ich will alles, und das sofort.
Selbst Leute, die viel ZEIT haben, fühlen sich in Wartesituationen fremdbestimmt
und meiden das Warten. Dabei könnte gerade für uns gehetzte Menschen
des 21. Jahrhunderts jedes Warten eine neue Chance sein.
Geht es Ihnen nicht auch manchmal so? In einem liebenswürdigen Witz wird von einem Mann erzählt, der völlig außer Atem zum Bootssteg läuft, seinen Koffer auf die etwa 3 Meter entfernte Fähre wirft, hinterher springt, sich mit letzter Kraft über die Reeling zieht und erleichtert schnauft: „Geschafft!“ Worauf ihn einer der Seeleute fragt: „Gar nicht so schlecht, aber warum haben sie nicht gewartet, bis wir angelegt haben?“
Er hat nicht gewartet, bis sie anlegten. Er hat nicht genau hingeschaut.
Und er hat blindlings gehandelt. Er hat es nicht erwarten können.
Tatsächlich gleicht dieser Mann so manchen Zeitgenossen, die es nie richtig erwarten können.
Die sich ins Zeug legen und oft außer Atem kommen, weil sie es wieder einmal nicht recht erwarten konnten. Keinen Bock auf Warte-ZEIT.
Auch in der Fastenzeit scheint dieser Typus überall aufzutauchen.
Viele können es einfach nicht erwarten. Sie nehmen schon alles vorweg,
haben keine Geduld und keine ZEIT.
Fürs Geheimnis, für die Überraschung bleibt kein Raum. Und keine ZEIT.
Fastenmenschen können warten. Wissen, dass genug ZEIT da ist.
Fürs Warten und ans Ziel kommen.
HEUTE empfehle ich einen literarischen Gedankensprung zu „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett. Was uns da alles erwartet!
Freitag, 07.03.2008
31 – Frauen-ZEIT
Ihr Name ist so austauschbar wie die Arbeit, die sie verrichtet.
Sie ist eine von tausenden Frauen Indiens, die in den kleinen Fabriken in den Städten
und am Land arbeiten. 12 Stunden und mehr für einen beschämenden Hungerlohn.
Ein Leben ohne Aussicht auf Besserung. Das Schicksal einer indischen Frau. 2008.
Frauen-ZEIT ist auszurufen. Die Zahlen der Statistiken sprechen eine erschreckende Sprache.
Nicht nur in Indien, überall auf der ganzen Welt, auf allen Kontinenten werden Frauen systematisch daran gehindert, glücklich zu sein. Sowohl körperlich als auch psychisch
leisten sie Großartiges und Übermenschliches. Unter widrigsten Umständen.
Und der Dank? Ungleichheit, Bedrohung, Ausbeutung, Gewalt an Leib und Seele.
Das Sündenregister einer männlich dominierten Gesellschaft ist lang.
Da hilft nur eines: Aufschreien, anschreiben, unterstützen.
Die Katholische Frauenbewegung tut das seit Jahren.
Es ist wirklich höchste ZEIT, Frauen in den Mittelpunkt des Interesses zu stellen,
keine Filmschauspielerinnen, Politikerinnen oder Managerinnen,
sondern jene einfachen Frauen, die ihr Leben als Frauen und Mütter von heute meistern müssen.
Heute feiern wir den ökumenischen Weltgebetstag der Frauen. Mit ihm richten wir die Aufmerksamkeit auf Guyana an der Atlantikküste im Nordosten Südamerikas.
Aus ihrem Glauben schöpfen die Frauen Guyanas Hoffnung, Mut und Kraft,
das eigene Leben zu bewältigen und sich für notwendige Veränderungen einzusetzen.
Das Motto lautet bewusst: „Gottes Weisheit schenkt neue Einsicht“!
Ein Fastentag der Solidarität mit den Frauen der Welt – Frauen-ZEIT, was sonst!
HEUTE empfehle ich, sich über die Aktivitäten der Katholischen Frauenbewegung oder anderer Frauenorganisationen anderer Konfessionen zu informieren und mitzufeiern!
Samstag, 08.03.2008
32 – Friedens-ZEIT
Das Buch Kohelet bringt es auf den Punkt: Alles hat seine Zeit/seine Stunde:
Es gibt … eine Zeit für den Krieg und eine Zeit für den Frieden.
Seit es Menschen gibt, gibt es Zeiten des Friedens. Vor und nach Zeiten des Krieges.
“Menschen schlagen einander Wunden im Krieg des einen gegen den anderen:
Ehe, Familie, Arbeitsplatz und Nachbarschaft sind unsere alltäglichen
Schlachtfelder. Unsere Erinnerung speichert lange Listen mit dem Unrecht –
Taten des anderen, und mancher liegt auch im Krieg mit sich selbst.“
Vielleicht liegen wir darum im Krieg miteinander, weil wir mit uns selbst
nicht ausgesöhnt sind. Es kann niemand den anderen annehmen,
der nicht zuvor erfahren hat, dass er selbst angenommen ist, geliebt und bejaht.
Jesus hat die Versöhnung gewagt für uns alle, weil er sich angenommen wusste
im Ja seines Vaters. Er ging waffenlos auf alle zu und schenkte sich denen, die
sich gegen ihn wandten.“
Das Friedensreich, in dem Menschen und Tiere in Frieden leben, ist seit Jahrtausenden angekündigt. Wann wird es auf der Erde Gestalt annehmen? Die Friedens-ZEIT, wann wird sie anbrechen?
Die Menschheit steht am Abgrund. Hass und Kriege in vielen Ländern,
Naturkatastrophen häufen sich, der Mensch führt sogar Krieg gegen Mutter Erde.
In einer ähnlich schwierigen Zeit lebte auch der Prophet Jesaja. Als er geboren wurde, etwa 750 v. Chr., beherrschten die Assyrer den Nahen Osten mit Grausamkeit und Terror. Die Israeliten waren in zwei Reiche, Israel und Juda, aufgeteilt, die sich gegenseitig befehdeten und schließlich beide unter assyrische Herrschaft gerieten. Das Volk war vom Glauben abgefallen; die Gebote Gottes wurden durch die Rituale einer Priesterreligion ersetzt. Aber der Prophet Jesaja träumt von einer Friedenszeit: „Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Sachwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, und übt nicht mehr für den Krieg (Jes 2,4)“
Immer wieder wünschen wir: FRIEDE SEI MIT DIR
Der tiefe Friede, / den wir nicht verstehen, / der wie ein Strom in unser Leben fließt,
der Wunden heilen kann, die wir nicht sehen, / weil es Gottes Friede ist.
FRIEDE SEI MIT DIR Das schrieb Manfred Siebald. Von Gisela-Lea
Sr. Christhild Neuheuser von den Schwestern der Christlichen Liebe in Paderborn (www.sccp.de) schickte mir ein Bild vom „Friedensmahner“!
Während unseres letzten internationalen Generalkapitels haben wir in unserem Innenhof einen "Friedensmahner" aufgestellt, der in allen Sprachen, die die Schwestern unserer Kongregation sprechen – auch in Blindenschrift – den Text enthält: FRIEDEN AUF ERDEN - MAY PEACE PREVAIL ON EARTH etc, auch in italienisch, Spanisch, Tagalog und Vietnamesisch. Daneben haben wir in einer Schale "Friedenssamen" gesät, die einige ZEIT brauchten, bis sie aufgingen, weil die Samen erst am Sommerende ausgesät wurden. Dazu sangen sie den Kanon: "Friede geht nicht immer auf. Lass die Saat doch langsam grünen, einmal, einmal wird sie blühen".
Heute empfehle das wundervolle Gebet von Franziskus wieder zu lesen und zu beten: Mach mich zum Werkzeug deines Friedens!
Helmut Loder
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