Zurück zur Hauptseite von Helmut Loder’s Fastenimpulsen
Vorbemerkung
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Ein Fastenprojekt von Helmut Loder


entlassen # 6. [montag]

Fast sein ganzes Leben. Hinterm Schreibtisch gesessen. Penible Ordnung. Alles an seinem Platz. Früher die Bleistifte und die Formulare. In den letzten Jahren der PC. Da durfte nichts verändert werden. Ein Beamter. Er arbeitete gut. Verlässlich, nicht immer schnell. Aber man konnte sich auf ihn verlassen.

Vor einiger Zeit: remove from the office. Aus dem Dienst entlassen. Überflüssig geworden. Wegrationalisiert. Eingespart. Vielleicht auch nur eine Spur zu alt. Nicht mehr flexibel genug. Es war ein Schock für ihn. Er verstand die Welt nicht mehr.

Er hat abgenommen. Sieht schlechter aus. Seine Augen glänzen nicht mehr wie früher. Sein Lächeln ist zurückhaltend geworden. Ich wollte sowieso abnehmen! Fasten tut gut. Diät, du verstehst. Ich glaube es nicht.

Fast und Fasten. Fast ein ganzes Leben. Gleichförmig, aber sicher gelebt. Dann der Abbruch, der Abschied. Enttäuschung, Entsetzen. Nächte voller Grübeln und Angst. Vor der Zukunft.

Fasten. Manchmal ein Einschnitt. Neubeginn mit guten Vorsätzen. Aufbruch mit anderen Vorzeichen. Nicht immer geplant. Oft unerwartet. Aus heiterem Himmel.

Er arbeitet wieder. Befristet zwar und mit Vorbehalt. Aber es gefällt ihm recht gut. Es geht etwas weiter. Entlassen aus dem Dienst, eingespart, eingestellt. Er hat wieder Hoffnung. Auch eine Fastengeschichte. Vom Abnehmen und Einsparen.

 


zurücksetzen # 7. [dienstag]

Dein Wille geschehe. Drei Worte, mechanisch gesprochen. Auswendig gelernt. Eine Zeile aus dem wohl berühmtesten Gebet. Überliefert, von Jesus höchstpersönlich. Vater unser . Millionenfach wiederholt. Gestammelt, heruntergeleiert. Dein Wille geschehe. Wie im Himmel, also auch auf Erden.

Ein Stolperstein-Satz. Schwierigkeitsgrad 10. Zu beten in schweren und in dunklen Stunden. Dein Wille geschehe. Auch wenn es nicht leicht fällt: Sein Wille geschehe. Ein Gebet wie ein Leuchtturm. Signalfeuer für stürmische Zeiten. Eiserne Ration für Wortlosigkeit. Aus dem heutigen Evangelium. Mt 6, 7-15.

Der österreichische Filmregisseur Ulrich Seidl inszeniert zurzeit in Berlin "Vater unser". Eine Gruppe einsamer Menschen, namenlos, blind zusammengewürfelt, allesamt auf der Suche. Nach Gott. Der Ort: eine trostlose Flughafenkapelle. Sie reden von ihren Plänen und Wünschen. Sie schreien und knien und beten. Und meinen: Mein Wille geschehe.

Ein verstörendes Stück. Umstritten, von der Kritik zerrissen. Aber unglaublich beeindruckend. Theater und Religion. Abbild der Realität? Zum Teil. Hilflose Wut, Enttäuschung. Sinnleere ist in ihre Gesichter geschrieben. Den Menschen bleibt das Wort im Hals stecken. Sie schreien, aber es glaubt ihnen keiner mehr. Solche Menschen leben mit uns. Und manchmal sind wir es selbst. Die da schreien und leiern und irgendwie tot sind. 

Remove - zurücksetzen. Sich zurücksetzen. Die Fastenkur für heute: das Vater unser wieder ins Gebet nehmen. Zurück(über)setzen in meinen Glauben, meine Worte. Von neuem lernen, zu flüstern, zu schreien, zu bitten: Dein Wille geschehe.

Weil du Gott bist . Und nur das Beste willst für mich. Für jeden von uns. Dein Wille  ... geschehe.

 


umziehen # 8. [mittwoch]

Wir mussten oft umziehen. Sagte die alte Dame. Damals, nach dem Krieg. Beim ersten Mal gab es Tränen. Später keine mehr. Mit dem Leiterwagen sind sie geflüchtet. Aus ihrer Heimat. Von einem Tag auf den anderen. Viel hatte nicht Platz. Heute sitzt sie in ihrer vierten - und wahrscheinlich letzten - kleinen Wohnung. Kein Blick zurück im Zorn. Schulterzucken. Es war halt so. Und nicht anders. Umziehen = remove.

Manche ziehen gerne um. Mit Sack und Pack. Nicht in Sack und Asche! Laut, lächelnd und mit Begeisterung. Von da nach dort. Oder weiter weg. Ausräumen, einräumen. Alles hineingestopft in die Schachteln, 2, 3 Stockwerke hoch, auspacken. Verteilen. Schweres und Filigranes. Kostbares und Liebgewordenes.

Umziehen. Menschen von heute, rastlos, die Koffer gepackt. Bereit für ein neues Abenteuer.

Ein Neuanfang. Die leeren Räume, die weißen schmucklosen Wände. Fasten und umziehen. Die alten Gewohnheiten: aufgeben. Verlassen. Neues entdecken. Aufleben. Wie das Leben so spielt.

Remove. Eine lange Reise durch die Zeit. Fast wie eine Wallfahrt. Stationen, Aufenthalte, als Pilger unterwegs. Du und ich, 40 Tage lang. Richtung Jerusalem.

Umziehen. Manche können, viele müssen umziehen. Richtung Norden oder Süden. Auf der Suche nach dem Eldorado. Nach dem Paradies. Nach einer neuen Heimaterde, Arbeit und Brot. Sicherheit und Frieden. Sie werden an der Grenze gejagt und vertrieben, zurückgeschickt.

Manche können nur sich umziehen. Stundenlang Neues probieren, sich öffnen für Kleidsames. Die Fastenzeit scheint ideal fürs Umziehen. Was gehört in deinen Koffer, für alle Fälle?

 


sich absetzen von # 9. [donnerstag]

Die Bilder gleichen sich. Von oben, in Augenhöhe. Ein paar Städte, Megacities. Großstädte. Slums, Armenviertel, Villenviertel, Vororte. Zu sehen im Film von Michael Glawogger. Megacities. Sehenswert. Ein optischer Leckerbissen. Unvergessliche Bilder aus der Wüste. Der Stadt.

Garniert mit menschlichem Strandgut. Verzweifelt, stoisch, verrückt. Gewalttätig, lauernd oder apathisch. Alles verbirgt sich im Häusermeer, in den Schluchten der Wolkenkratzer, im Schatten der Lichtkaskaden. Überall auf der Welt. Oft ist es ein kleines schmutziges Leben, verstört und einsam. In der Wüste aus Stein und Beton. Mittendrin: Ameisenmenschen. Winzig, geschäftig. Mit großem Hunger nach Liebe und gelingendem Leben.

To remove from - sich absetzen von. Das wollen viele. Sich absetzen aus der Wüste Stadt. Weg von den grellen Werbeflächen der falschen Begierden. Weg von den schmutzigen Straßen, Tag und Nacht beleuchtet. Vom ständigen Lärm und der Gefahr.

Das Leben in der Stadt ist hart. Glauben in der Stadt ist hart. Die Sehnsucht ist da: Nach einem Horizont, den ich sehe. Nach Licht, frischer Luft und Stille. Nach Stillstand und Ruhe.

Absetzen, weggehen, fortziehen. To remove from. Schön wärs, aber nicht realistisch. Das Leben erfährt sich als ständiger Vorübergang. Passantenmentalität. Alles fließt: der Verkehr, der Strom der Käufer und Süchtigen, der Neugierigen und Schnäppchenjäger. Leben als Dauersurfen im Strom der Gehetzten. Urbanes Unglück.

Aber manchmal, da bricht ein Licht durch. Zerreißt den Grauschleier der Umweltbelastung. Ein Lächeln auf dem Gesicht des Kindes in der Straßenbahn, ein freundliches Nicken meines Gegenübers im Bus. Fastenzeit, ich setze mich ab von den Schlagschatten dumpfer Bedrohung, von den Wanderdünen der Gleichgültigkeit. Und ich sehe, wie der junge Baum sich behauptet gegen die Parkflächen, die ihn einkreisen, und höre die Glocken einer Kirche inmitten des Verkehrslärms .

 


sich absetzen von # 10. [freitag]

Oh wie schön ist Panama! So lautet der Titel eines lustig-schrägen Kinderbuches von Janosch. So heißt das Land mit dem weltberühmten Kanal. Panama ist heuer Schwerpunktland. Weltgebetstag der Frauen. Oh wie bitter arm ist Panama. Die Landenge. Exotisch-verlockend.

Panama ist mehr als ein Kanal oder Kinderbuch. Ein Transitland. Seit der Rückgabe des Kanals zur Jahrtausendwende wird es wieder selbst verwaltet. Realität Armut. Bittere Wirklichkeit des Elends. Landflucht, Drogenhandel und Korruption.

Auf dem Plakat für den Gedenktag: Drei Frauenhände umfassen den Erdball. Unterschiedliche Hautfarben: multiethisch. Geschichtlich bedingt: Missionierungs- und Einwanderungsland. Viele Religionen und Konfessionen.

Aus der Erde wächst ein Baum. Von den Frauenhänden behütet, versorgt. Frauenarbeit. Die Zukunft wird mitgestaltet. Ein Viertel der Familien sind alleinerziehende Frauen und ihre Kinder.

In der Mitte der Baum des Lebens. Einem Kreuz verblüffend ähnlich. Ein Schwarm weißer Tauben, Zeichen für Frieden, flattert herum. In der Sprache des indigenen Volkes der Guaymi heißt Panama ein Schwarm Fische, ein Schwarm Schmetterlinge. Oh wie schön ist Panama .

Am Weltgebetstag 2004. In der Fastenzeit. Frauen informieren sich. Informieren Männer, in anderen Ländern und Kulturen. Sprechen die Frohe Botschaft in ihrer Sprache. Begegnung im Gebet. Daraus entsteht Solidarität. Bereitschaft zu helfen. Konkrete Projekte, sichtbare Hilfe. Oh wie schön ist Panama .

"Mein Bild erzählt vom Leben, das Gott uns gab, und uns mit dem Schöpfer verbindet."

Sagt die Frau, die das Bild gemalt hat ( Sandra Cotes de Moreno) . Für Frauen in anderen Ländern. Bunt, mit vielen Anspielungen und Querverweisen. Für Christinnen und Christen. Unsere Hilfe wird erbeten.

Remove . to the reality. Trostlos in vielen Fällen. Ausgangspunkt Not. Aber Hilfe beginnt im Kopf. Und im Herzen. Begegnung und Information sind erste Schritte.

Remove wie Anteilnahme. Mit offenen Augen und Händen. Frauenhände aus Panama. Dort wo die Fische tanzen.


sich abschminken # 11. [samstag]

Vor einigen Tagen. Die Schlagzeile der Zeitung: Blutbad unter Pilgern. Das Bild auf Seite 1: Ein verzweifelter Vater. Mit seinem verwundeten Sohn auf den Armen. Läuft aus der Gefahrenzone. Entsetzen auf ihren Gesichtern. Schmerz. Angst. Fastenzeit. Blutzeit im Irak.

Innen auf Seite 2 und 3: Die Vergötzung des Autos. Hochglanzmetallkisten auf 4 Rädern, mit perfekt geschminkten Frauen dekoriert. Andachtsbilder aus dem aktuellen Automobilsalon. Das Credo der Mobilgesellschaft in Chrom und Eitelkeit. Auf den Altären der Autokonzerne zur Anbetung aufgestellt. Eine andere Welt. Andere Sorgen. Andere Prioritäten. Ich sehe: Das Blutbad und der Autosalon.

To remove the make-up, abschminken. Sich abschminken, sich etwas abschminken. Das sagt man doch. Was könnte ich mir abschminken?
Da die Nachricht vom Massaker. Friedliche Wallfahrer, zerrissen von heimtückischen Bomben. Ohne Chance, dem Tod zu entkommen. Ahnungslos ihrem Schicksal ausgeliefert. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Von gewissenlosen Mördern in den Tod gebombt.

Dort die Heilige Messe der Fahrzeugindustrie. Geschäfte, Medien und Verführung. Alltag auf unserem Planeten. Business as usual. Business und Blutbad. Terror beim Fest, Blutbad bei uns nach den Festen. Wenn die Droge Alkohol (und andere Drogen) ihren Blutzoll fordern. Manchmal ist das Leben sehr grausam. Und blutig.

Fastenzeit. Fasten durch Verzicht. Beim Alkohol. Beim Autofahren. Bewusst. Beim Auto? Im Alltag kaum praktiziert. Unsere Blutbäder verstecken sich auf Seite 15. Wenn der Beifahrer tödlich verletzt im Auto eingeklemmt oder hinausgeschleudert wurde. Wir sind stumpf geworden. Zu viele Blutbäder vor unseren Augen. In unserer Nachbarschaft.

Weg mit dem Make-up der Auto-Leistungsgesellschaft. Es gibt Wichtigeres für die Seite 2 und 3. Nämlich das Leben, den Atem eines gesunden Kindes. Das Lächeln im Gesicht statt Tränen beim Begräbnis. Zu viele Krokodilstränen, zu viele vergebliche Tränen. Remove. Bevor wir uns an die Blutbäder „gewöhnen“ …

 


nicht weggehen # 12. [2. fastensonntag]

Berge sind besondere Orte. Orte der Nähe zum Himmel. Näher kommen dem Geheimnis(vollen). Jesus geht auf den Berg. Mit seinen Freunden. Um zu beten. Und es passiert: Ein Moment der Aufhellung. Licht. Klarheit. Verklärung. Rätselhaft, unbegreiflich. So berichtet das Evangelium.

Wir wollen Hütten bauen. Für dich und Mose und Elija. Ein spontaner Wunsch. Nicht weitergehen. Drei Hütten bauen. Den Augenblick der Begegnung festhalten. Die Aussicht genießen. Gemeinschaft stiften. Für immer. Mit dir, Herr! Hier auf dem Berg. Verständlich, nicht wahr? Ein guter Stand-Ort. Der Berg der Verklärung. Nicht weitergehen. Wir wollen Hütten bauen, Häuser, was immer du willst …

Es ist wie immer: Kein leichtes Unterfangen. Einen Ort des Glücks finden. Die Freude und die Herrlichkeit festhalten. Sich im Licht baden. Heimat spüren. Ankommen und Geborgenheit erleben. Jesus festhalten. Nicht weitergehen wollen. Ausruhen. Die Seele aufatmen lassen. Das ist es doch, was man sich wünscht. Damals und heute.

Auch wir leben ruhelos, rastlos. Immer mit einem Fuß in Startposition. Aufbrechen, nirgendwo richtig daheim sein. Von einer Location zur nächsten. Henning Mankell sagt: „Die Menschen von heute bauen keine Häuser mehr, sie bauen Verstecke.“ In seinem Roman „Chronist der Winde“ meint Nelio, der afrikanische Straßenjunge: „Mein Vater lehrte mich, zu den Sternen aufzuschauen, wenn das Leben schwer war. Wenn ich den Blick dann wieder auf die Erde senkte, war das, was eben noch übermächtig war, auf einmal klein und einfach.“

Fasten als Anfrage: Wo ruhe ich mich aus? Wann bin ich zuhause? Bei mir? In meinem Leben? Gesättigt mit Zeit. Für einen Blick in den Himmel. Für Gedanken der Stille.

Don´t remove. Geht nicht weg. Lasst uns drei Hütten bauen. Ein Dorf, eine Stadt. Im Wissen, wir sind unterwegs. Der Schatten des Alltags legt sich auf alle Momente des Glücks. Der Rausch des Gipfels verfliegt. Das Tal ist zu erobern. Tag für Tag. Aber wer sich den Blick in den Himmel bewahrt, wird wohnen in offenen Häusern der Liebe, des Lichts.
Und kann weiter mit Jesus gehen, ohne Angst vor dem Morgen.

 

2004

Montag, 1.3.2004
Donnerstag, 2.3.2004
Mittwoch, 3.3.2004
Donnerstag, 4.3.2004
Freitag, 5.3.2004
Samstag, 6.3.2004
Sonntag, 7.3.2004 (2. Fastensonntag)